Vor kurzem war die Präsentation der Ergebnisse der „Forschungsorientiertes Lehren und Lernen“ Projekte. Zusammen mit Jan Eric Bartels durfte ich eine Gruppe hoch motivierter Studierender dabei begleiten, wie sie eine Simulation der deutschen Koalitionsverhandlungen 2021 erstellte. Das Projekt wurde sogar auf NDR Info vorgestellt.
Für den Abschlussbericht soll ich einige Reflexionsfragen beantworten, und da das vielleicht von allgemeinem Interesse für Lehrende ist, die forschendes Lehren praktizieren wollen, tue ich das auch mal hier.
Studierende machen lassen, bei strategischen Entscheidungen helfen
Die beiden FOLL Semester waren relativ unterschiedlich. Mein größter Aufwand und Beitrag war eher im ersten Semester, dem konzeptionellen Nachdenken darüber, was eigentlich das Projekt ausmachen soll. Dabei war die grundlegende Arbeitsteilung, dass die Studierenden sich vorher bereits viele Gedanken gemacht hatten, und mich vor allem bei den strategischen Grundentscheidungen eingebunden haben. Das betraf Themen wie: Was simulieren wir eigentlich? z.B. haben wir anfangs gemeinsam darüber nachgedacht, ob man einen Gesetzgebungsprozess oder Koalitionsverhandlungen simuliert. Koalitionsverhandlungen boten sich natürlich an, weil sie 2021 gerade aktuell wurden; aber auch ohne diese Aktualität hat es vermutlich Vorteile, Koalitionsverhandlungen zu simulieren. Sie enthalten einfach mehr echte „Verhandlungs“ Elemente als ein Gesetzgebungsprozess, bei dem die Mehrheit die Opposition überstimmen kann.
Bei diesen strategischen Entscheidungen fand ich es hilfreich, die Studierenden in den Diskussionen einfach zu spiegeln, und mit ihnen Vor- und Nachteile der Entscheidungsoptionen zu diskutieren. Dabei hatte ich meistens auch eine starke Meinung (z.B. die Präferenz für Koalitionsverhandlungen). Aber letztlich entscheiden die Studierenden. Es ist ihr Projekt. Manchmal half es auch einfach, die Entscheidungsoptionen noch einmal klar zu formulieren, und gemeinsam Kosten und Nutzen abzuwägen. Im Sommer stand z.B. die Frage an, ob die Gruppe die Positionen der Linkspartei erarbeiten sollen. Auf der Pro-Seite: Auf diese Weise bekommen sie ein umfassendes Bild über das deutsche Parteienspektrum. Auf der Contra-Seite: Es ist mehr Arbeit, und ob die Linkspartei im Herbst 2021 an Koalitionsverhandlungen teilnehmen würde, erschien im Sommer 2021 schon eher unwahrscheinlich.
Zusammenarbeit digital
Die Zusammenarbeit der Studierenden untereinander war aus meiner Wahrnehmung hervorragend. Die Gruppe hat gut digitale Tools genutzt, um sich zu koordinieren und die Dokumente zu erstellen. Das gwdg Pad ist sehr zu empfehlen.
Literatur – das ist eine Aufgabe für die Lehrenden
Wo natürlich die Rolle der Lehrenden groß ist: Literatur. Die FOLL Gruppe möchte gleich loslegen, und konzeptionell und empirisch arbeiten. Erst noch die Literatur sichten – das erscheint mir nicht nötig und verdirbt vielleicht auch gerade am Anfang etwas die Motivation. Als Rat an Lehrende kann ich daher geben: Dem forschenden Team eine auf ihr Projekt zugeschneiderte Literaturliste geben.
Geht das auch in „normalen“ Lehrveranstaltungen?
Die sicherlich wichtigste Frage ist, was Lehrende aus FOLL mitnehmen können in ihre „normalen“ Brot-und-Butter-Lehrveranstaltungen. Vieles, was mit einer kleinen FOLL Gruppe klappt, funktioniert möglicherweise nicht mit einer Großgruppe. Dennoch könnte gerade dieses „grundlegende Entscheidungen diskutieren“ das Wichtigste sein, was ich mitnehme. Für Studierende stellt sich Forschung häufig als eine Reihe von Entscheidungen dar, die schon andere getroffen haben. In jedem Artikel, den sie lesen, haben ja andere – die Autor*innen – die wesentlichen Entscheidungen über dasForschungsdesign bereits getroffen. Was mir aber wichtig ist, zu vermitteln: Forschen heißt, Entscheidungen zu treffen und sie dann zu begründen. Dabei gibt es nur sehr selten wirklich „richtige“ oder „falsche“ Entscheidungen. Sondern einfach trade-offs. Jede Entscheidung hat Konsequenzen für die Generalisierbarkeit der Forschung, für die Methoden, die man anwenden (und erlernen) muss, für das Framing des Projektes, und nicht zuletzt für den Arbeitsaufwand. Das ist sicherlich eine große Stärke von FOLL: dass Studierende diese Logik am eigenen Leib erleben. Und an dieser Stelle kann man auch helfen und gemeinsam die Entscheidungen durchdenken. Aber das geht vielleicht auch in normalen Lehrveranstaltungen: den Studierenden häufiger die tausend großen und kleinen Entscheidungen verdeutlichen, die Forschung ausmachen. Warum die SPD untersuchen und nicht die CDU? Warum Parteiprogramme? Wären nicht Pressemitteilungen die bessere Quelle? Wie lange dauert die empirische Auswertung eigentlich? Kriege ich das Material? So etwas kann man auch in normalen Lehrveranstaltungen stärker einüben.
Let it go…
Am Ende noch mal eine Überlegung, bei der ich selber noch nicht ganz sicher bin: Wie ist es eigentlich mit dem potentiellen Scheitern des Projektes? Auf der einen Seite könnte man sagen: OK, so ist Forschung eben. Und es kann sein, dass man ein halbes Jahr arbeitet, und nichts dabei herauskommt. Da bin ich zur Zeit noch eher der Meinung: Gut, dann ist das eben der Lerneffekt, let it go, dann lernen die Studierenden, dass Forschungsprojekte auch scheitern können. Andererseits weiß ich nicht, ob ich das auch noch so gelassen sehen würde, wenn ich fünf Monate in einem Projekt mit Studierenden drinstecke, wir alle sunk cost haben und frustriert sind.